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Das Abschlussprojekt: Eine Prüfung, die man bestehen muss

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Ich sitze in einem Zug, auf dem Weg durch den Norden Indiens, und denke über die Zeit nach, die ich am Jugendseminar verbracht habe. Dabei fällt mir immer wieder auf, wie wichtig das künstlerische Abschlussprojekt für meine Persönlichkeitsentwicklung war. Und das ist ein sehr gutes Gefühl.

von Vital

Es hat sich vieles verändert, seitdem ich mein Jahr im Freien Jugendseminar abgeschlossen habe und nun alleine durch Indien reise. Es wird mir immer klarer, was für eine große Rolle das Projekt bei meiner Entwicklung zu einem selbständigen und selbstbewussten Menschen gespielt hat. Dieses Gefühl, wenn man auf der Bühne steht und alles spielt sich in diesem Moment ab, der einem ganz gegenwärtig ist, ist unglaublich erfüllend. Kaum je habe ich mich so lebendig gefühlt. Das Reisen und Theater haben vieles gemeinsam.

Die Idee, ein solches Projekt zu machen, hat sich ein paar Wochen nach dem Beginn des 4. Trimesters ergeben. Anfangs wollte ich einen kurzen Sketch machen und war auch offen für eine Zusammenarbeit mit anderen. Ich spürte die Not, die Lust, das Bedürfnis danach, eine richtige Herausforderung auf mich zu nehmen. Meine Idee war groß, aber als ich sie den Freunden präsentieren wollte, überkam mich mein innerer „Schweinehund“. Plötzlich hatte ich Angst in 2 Monaten wirklich auf der Bühne zu stehen und vor einer Gruppe von Menschen spielen zu müssen. Dieser Teil von mir war die ganze Zeit präsent. Hätte ich nicht den Druck der anderen gespürt und meine innere Stimme auch einmal überhört, hätte ich womöglich nach ein paar Wochen aufgegeben.

 

Eine Prüfung, die man bestehen muss

Am Anfang des Abschlussprojektes müssen sich alle mit ihrem Thema genau auseinandersetzen. Jeder muss sich informieren, recherchieren und versuchen, so gut wie möglich einen Überblick über das Feld zu gewinnen, mit dem er oder sie sich befassen will. Wer spielt welche Rolle, und wie? Wie interagieren die Rollen miteinander und in welcher Rolle sehe ich mich selbst?

Danach geht es darum, sich mit der Rolle auseinander zu setzen: Was gehört zu meiner Rolle und was bringe ich mit, das zu ihr passt? Wie finde ich ein Gleichgewicht zwischen mir und der Rolle? Wie viel von der Rolle kann (oder darf) ich in mich aufnehmen, also: wie sehr darf ich mich von ihr prägen lassen? Was ist gespielt und was ist gefühlt? Darin liegt die Kunst des Schauspielers. Es muss echt sein, sonst spürt dies das Publikum sofort. Und um an den Punkt zu gelangen, bei dem der Charakter der Rolle ein Teil von mir selbst wird, braucht es viel Durchhaltevermögen.

Da man im ständigen Dialog mit sich selbst ist und immer mehr daran arbeitet, in die Rolle zu schlüpfen, begegnet man bald wieder seinem „Schweinehund“. Diese Begegnung ist eine Prüfung, die man bestehen muss, bevor man wirklich die Rolle spüren kann. Man muss dazu bereit sein, das eigene Ich ein wenig loszulassen, um sich öffnen zu können, so dass man die Rolle in sich aufnehmen kann. Das machte mir erst einmal Angst. Etwas Unbekanntes wartet auf einen, und die meisten Menschen fürchten das Unbekannte.

Aber um genau dieses Unbekannte geht es. Jeder hat seinen Text gut gelernt, aber es kann immer etwas passieren. Plötzlich steht man da, das Publikum schaut erwartungsvoll, und die ganze Geschichte kann in dieser einen Sekunde scheitern. Oder man ergreift den Moment und versucht, das Beste daraus zu machen.

 

Ist es das wert?

Langsam aber sicher näherten sich die ersten Aufführungen. Die innere Stimme tauchte wieder auf und fragte: Ist es das wert? Will ich das wirklich? Na klar will ich das! Aber kann ich das auch vor anderen Menschen? Was ist, wenn ich einen Fehler mache? Fühle ich mich wohl auf der Bühne? Mag ich es, im Mittelpunkt zu stehen? Wie groß ist die Herausforderung, die Überwindung? Kann ich den Druck aushalten oder werde ich ihm im letzten Moment nachgeben?

Als ich auf der Bühne stand, fühlte ich mich so lebendig wie nie zuvor und gleichzeitig doch sehr unter Druck. Es ist schwer, die Rolle lebendig zu erhalten in Momenten der Unaufmerksamkeit, eines Fehlers, oder einer unerwarteten Reaktion aus dem Publikum. Das Publikum reagiert jedes Mal anders, daher mussten auch wir schnell lernen, wie weit wir uns vom Publikum tragen lassen können. Es entstehen weitere Fragen: wie reagiere ich auf das Publikum? Wie kann ich meine Erwartungen an das Publikum unterdrücken, damit ich nicht während der Aufführung abgelenkt werde?

Erleichterung. Ausatmen. Lachen. Wahres, inneres Glück. So fühlte es sich an, etwas erreicht zu haben. Nach den langen Proben, den vielen Hürden bin ich an diesem Punkt angekommen – und es gibt nichts Besseres. Der Wille braucht viel Überwindung, bis er sich in konkreten Erfolg verwandelt und nicht nur eine Idee bleibt. Das habe ich gelernt. Am Ende stand ich nur dank Jidu Pasqualini, Katharina, Eva und meiner eigenen Überwindungskraft auf der Bühne.

 

Viel für meinen Lebensweg

Dieses Projekt hat mir viel mitgegeben für meinen Lebensweg. Ein Projekt bis zum Ende durchzuziehen, forderte viel von mir, gab aber auch sehr viel zurück. Ich konnte viele wertvolle Eindrücke mitnehmen, die ich von da an für immer in mir trage.

Der wertvollste davon ist, dass im Leben alles möglich ist, es geht nur um die Bereitschaft, die nötige Arbeit und Zeit zu investieren. So öffnet sich plötzlich eine Tür nach der anderen. Wenn man sich traut, durch eine Tür zu gehen, kann das Leben einem großes Glück schenken.