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Ein sehr ehrliches Projekt

Die Idee für ein Abschlussprojekt am Freien Jugendseminar kann sehr vielfältig sein. Im Grunde geht es dabei wahrscheinlich um eine intensive Arbeit an einem Thema, das einen beschäftigt und bei dem man das Gefühl hat, ein Entwicklungspotential zu sehen.
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von Mira aus Österreich //

Nachdem ich die beiden vorigen Projekte gesehen hatte, war ich mir recht schnell sicher, auch ein Unternehmen in dieser Art machen zu wollen. Meine Erwartungen waren, dass es sehr intensiv werden würde – körperlich und emotional –, dass wir viel ausprobieren, eine Achterbahn erleben würden, mit Höhen und Tiefen, und am Ende unser Erleben auf die Bühne bringen könnten.

Wer bin ich?

In erster Linie wollte ich im Projekt der Frage nach meiner Identität nachgehen, dem Licht und dem Schatten in der eigenen Persönlichkeit. Wer bin ich? Was sind Gut und Böse und wer beurteilt das? Kann man die Schatten im Selbst verwandeln und sie sich zu eigen machen? Wer war ich und wer bin ich heute? Wer kann ich morgen sein? Dabei wollte ich vor allem mit Texten, Sprache und Tanz arbeiten. Schauspiel wollte ich auch dabeihaben, aber nicht nur irgendeine vorgefertigte Rolle spielen, sondern eine, die mir wirklich etwas bedeutete.

Zu Beginn waren da zwölf Menschen aus sieben Nationen mit den verschiedensten Persönlichkeiten, Fähigkeiten und Erfahrungen – und ein gemeinsames Projekt. Ich erinnere mich noch, mir am Anfang bereits die Frage gestellt zu haben, wie ich das überleben würde. Für mich waren der körperliche Kraftaufwand und die nun verringerte Zeit für mich selbst tatsächlich eine große Herausforderung. Ich hatte nicht selten das Gefühl, ans Ende meiner Kräfte gelangt zu sein, physisch wie emotional. Trotz der langen Ungewissheit, was aus den vielen Einzelteilen einmal für eine Einheit entstehen würde, hatte ich diesbezüglich kaum Zweifel. Freunde haben mir gegenüber oft beteuert, dass sich das Ergebnis meist bis zu den letzten Wochen kaum erkennen lässt.

Wir versuchten zu Beginn, unsere Vorstellungen zusammenzubringen. In dieser Zeit unternahmen wir viele Übungen, bei denen spontanes Improvisieren, Lockerwerden, Vertrauen, sich öffnen, Ausprobieren und Überraschen große Rollen spielten. Vor allem in den ersten Wochen schrieben wir regelmäßig persönliche Gefühle und Fragen nieder. So entstand ein Vertrauensverhältnis auch zu Jidu Pasqualini, unserem Projektbetreuer, der unsere Gedanken las und mit uns besprach.

Bald darauf sollte sich auch der Inhalt unseres Theaterstücks konkretisieren. Die Titelwahl war nicht einfach, wurde aber demokratisch getroffen: „Der Sturm und die Blüten der Stille“. Gut lässt sich darin unter anderem unser Bedürfnis danach erkennen, die Wildnis des Lebens samt ihrer Verletzlichkeit zu erfahren, und der Wunsch, uns unserer inneren Kräfte bewusst zu werden. Wir wollen über die schwierigen Aspekte in uns nicht schweigen, sondern benennen, wo man sonst vielleicht lieber wegsehen würde. Wir wollten uns öffnen, ehrlich sein und dabei sehen, was dadurch möglich werden könnte.

Am Ende haben wir so viel geschafft.

Das Leben ist ein Meer, mal salzig, dann süß, einerseits hell, zugleich auch dunkel, in dem wir schwimmen, rudern, manchmal untergehen, uns treiben lassen oder auch ganz eintauchen. Es gibt auch Land, aber die Schwierigkeit besteht darin, die endlose Weite und Tiefe des Meeres auszuhalten, ja sogar schätzen zu lernen.

Unser Projekt bedeutete auch für uns Kraft, Tränen, Schweiß und große Hingabe an die Vielfalt des Erlebens. Es bedeutete Willensstärke, Schmerz, Wünsche, Verantwortung, klare Vorstellungen, aber gleichzeitig auch den Mut zur grenzenlosen Offenheit – nichts muss daraus werden, aber alles kann. Am Ende haben wir so viel geschafft. Unser Projekt ist vielleicht nicht exakt geworden, was manche von uns erwartet hatten, aber das ist sicher auch gut so. Es ist ein sehr ehrliches Projekt geworden.