Johannes Nilo, der heute als Dozent das Jugendseminar unterstützt, ist 1992/1993 selbst Seminarist gewesen. Ursprünglich stammt er aus Järna in Schweden. Dort ist 1935 eine heilpädagogische Einrichtung gegründet worden.
Järna wurde nach und nach zum Zentrum der Anthroposophie in Skandinavien. Dort ging er bis zur 10. Klasse in die Waldorfschule und wechselte dann mit 16 Jahren in eine größere Waldorfschule nach Stockholm. Durch den Wechsel vom Land in die Stadt begann für ihn die Bekanntschaft mit einer kritischen, wachen und intellektuellen Kultur, für die er große Neugierde entwickelte. Zusammen mit Klassenkameraden begründetet er eine Schülerzeitung, führte Kunstaktionen durch und drehte Filme.
von Fiona und Niklas
Jetzt im Nachhinein würde ich sagen, das waren so ungefähr eineinhalb Jahre wo der Himmel für uns fünf offen war, es war sehr viel möglich, da wir uns gegenseitig steigerten.
Warum bist Du an das Jugendseminar gekommen?
Ich hatte nach dem Abitur nicht das Bedürfnis mich für einen bestimmten Studiengang zu entscheiden. Unsere Eurythmielehrerin bemerkte, dass wir Jugendliche bestimmte Fragen hatten und machte uns auf das Jugendseminar aufmerksam. Wir kamen zu dritt hier her und ich wusste gar nicht worauf ich mich da einlasse. Das war 1992/1993.
Wie war die Zeit für Dich hier?
Rückblickend habe ich meine Zeit hier oft mit einem Kloster verglichen. Es gab hier viele Regeln, viel Rhythmus. Wir gingen immer mit den Priestern essen, vor dem Essen wurde gebetet. Wir waren damals ziemlich abgeschieden hier, doch mir gefiel dieses „klösterliche Leben“.
Gleich in der ersten Woche hielt Helmut v. Kügelgen den Morgenkurs über Erziehung und Selbsterziehung. Er sprach über den Schutzengel. Das hat mich sehr beeindruckt. Mir wurde klar, dass auch Selbsterziehung möglich ist. Das begleitete mich mein Jahr über hier in Stuttgart.
Das Jahr im Jugendseminar war wie ein Startschuss, ein Jahr intensiv der Anthroposophie nachgehen zu können und das Leben in die eigene Hand zu nehmen.
Was kam nach dem Seminar?
Viele meiner Mitseminaristen wählten danach ein anthroposophisches Studium, wie Sprachgestaltung oder Eurythmie. Ich ging zurück nach Schweden und studierte, nach einem Jahr in einer heilpädagogischen Einrichtung, 3 Jahre Malerei. Ich entdeckte die Kunst als Philosophie mit anderen Mitteln. Anschließend studierte ich dann Philosophie, Slawistik und Religionsgeschichte.
Mit 20 wurde ich einmal gebeten, in diesem Rahmen einen Vortrag über das Verhältnis zwischen Denken und dem Gehirn zu halten. Das Geniale an Steiners Denken ist ja, dass es so praxisorientiert ist. Genau dann wird das Denken zu einem Ursprung für Kraft und Energie im Leben.
Im Seminar hatte ich anfangs gar nicht viel verstanden, aber jetzt fing ich an zu verstehen. Die Anthroposophie hat mir auch in meinem Studium an der Universität geholfen. Im Unileben ist ja alles in kleine Teilchen aufgedröselt. Durch die Anthroposophie hatte ich den Blick auf das Ganze, den Zusammenhang und das Verhältnis zu mir. An der Uni musste ich dann das Analytische nachholen. Ich denke man braucht beides.
2002 ging ich dann nach Heidelberg an das Friedrich von Hardenberg Institut für Kulturwissenschaften. Dort hatte ich ein Stipendium. Durch die Bekanntschaft mit Bodo von Plato kam ich nach Dornach.
Mit welchen Fragen beschäftigen Sie sich jetzt in Dornach?
Die Frage: Wie kann man die Anthroposophie heute eine Form bekommen, die einerseits zeitgenössisch, aber andererseits substanziell anthroposophisch ist? Wie kann man die Anthroposophie, wie sie vor 100 Jahren vermittelt worden ist, heute vermitteln?
Ich denke es ist ein Problem, wenn die Anthroposophie bloß über äußere Merkmale definiert wird. Können wir überhaupt sagen, wie sie heute aussieht, was ihre Ausdrucksformen sind?
Ich glaube, dass die Anthroposophie noch nicht so recht weiß, wie man in der heutigen Welt mit ihr umgehen soll. Ich leide sehr darunter, wenn ich sehe, dass es der Anthroposophie nicht gelingt, sich in der Welt zu beheimaten.
Die Anthroposophie ändert sich mit der Zeit und das muss sie auch, denn sie muss immer in Berührung mit der gesellschaftlichen Entwicklung stehen.
Wie erleben Sie das Jugendseminar heute?
1989 gilt als Geburtsjahr des Internet. Als ich hier war 1992/93, wusste ich noch nichts davon, weil es so neu war. Sie sind hier jetzt alle „Digital Natives“. Die Veränderung hat sich auch hier im Seminar abgebildet.
Das was ich dieses Jahr hier erlebe, erinnert mich an die Stimmung meines Jahrgangs. Es ist eine heitere, wohlwollende Stimmung, mit verschiedenen Charakteren, die gemeinsam etwas bewegen wollen. Sympathisch ist die Offenheit, dass man so schnell ins Gespräch kommt.
Vielleicht hat die Anthroposophie auch eine Entwicklung durchgemacht wie das Jugendseminar: Früher theoretischer und heute praxisorientierter. Es ist schön, wenn hier die Balance gefunden wird.