von Fiona //
Gegen drei Uhr morgens in einer lauen Juninacht, macht sich eine Gruppe schlaftrunkener junger Leute vom Oberlin-Haus in den Vogesen zu einer Wanderung auf. Die Vereinbarung war, bis zum Sonnenaufgang zu schweigen. Es ist still, noch singt kein Vogel, nur das flöten der Zikaden klingt wie aus einer anderen Welt herüber und gibt dem Ganzen ein unwirkliche Stimmung. Ein leichter Wind geht durch die Bergwiesen, in welchen die Blumen wie heller Schaum schwimmen. Hintereinander stapfen sie den schmalen Pfad entlang, zwischen Blaubeersträuchern, Heidekraut und jungen Kiefern hindurch. Der Weg ist ausgewaschen vom Frühjahrsregen und man muss darauf achten wie man seine Füße setzt, um nicht zu stolpern. Es ist eine seltsame Mischung aus Traum und Realität in der wir uns befinden: Aus dem Schlaf gerissen und in die nächtliche Natur versetzt.
Nach einer Weile erreichen wir den Wald. Ein wenig Licht fällt vom Himmel durch die Zweige und erhellt den Waldboden etwas, es geht über Wurzelgeflecht und Steine. Schwer zu sagen wie lange wir schon unterwegs sind. Irgendwann wird der Wald lichter und man kann bemerken, dass es deutlich heller geworden ist, während wir vom Waldesdunkel eingeschlossen waren. Zwischen kleinen Ebereschen führt der Weg nun entlang und der Himmel nimmt immer mehr ein morgentliches Blau an. Wir befinden uns oben auf einem Berggrad. Ringsherum tauchen Gebirgsketten aus der Dämmerung auf, Wolken hängen dazwischen. Ein Komet zieht langsam, wie eine brennende Fackel durch das blau und verglüht, wir schweigen noch. Schließlich erreichen wir eine Felskante am Rande eines Talkessels.
Sonnenaufgang
Unter uns liegt dunkel ein Bergsee. Wir sind ziemlich weit oben, von hier aus wollen wir auf den Sonnenaufgang warten. Jeden Moment wandeln sich die Farben, das Einheitsblau der Berge differenziert sich in Violett- und Grüntöne, auch der Himmel färbt sich. Das Licht kommt in Wellen, pulsiert, man glaubt, jeden Augenblick müsse die Sonne er- scheinen. Und dann komm sie auch, natürlich.
Den ganzen Vormittag geht es weiter auf steinigem Pfad. Die Sonne brennt auf uns nieder, so langsam setzt die Müdigkeit ein. Stundenlang geht es abwechselnd durch Waldstücke mit kleingewachsenen Buchen und durch die Heidelandschaft aus weichen Moorgraspolstern. Mittags rasten wir an einer Scheune. Daneben gibt es einen Baum der Schatten spendet, unter dem drängen wir uns alle zusammen. Durch die Wiesen fließen lauter kleine Bäche, an deren Rändern das Gras besonders üppig wächst.
Später wandern wir wieder schweigend. Es geht einen Hang hinunter und manchmal muss man klettern. Es ist seltsam unter Menschen zu sein und zu schweigen. Schwer, gemeinsam diese Stille auszuhalten, die ganz voller Gedanken und Gefühle ist. Beziehung ohne Sprache. Wenn man sich im Schweigen unter Menschen verliert, kann man einsamer sein, als alleine.
Abend
Gegen Abend sind wir weiter unten im Tal. Auf breiterem Waldweg geht es durch einen Nadelwald. Die frischen Triebe der Fichten heben sich ganz zart und hellgrün von den Zweigen des Vorjahres ab. Man kann sie essen: Sie schmecken leicht nach Zitrone. Da, wo der Wind einige Bäume umgeworfen hat und Licht auf den Waldboden fällt, wächst feines Waldgras. Es sieht aus wie weicher Flaum, ist aber ganz rau wenn man es anfasst. Das beständige Rauschen des Windes in den Wipfeln erinnert ans Meer.
Unsere letzte Pause machen wir an einem See. Einige Wolken sind aufgezogen und ein frischer Wind kräuselt das Wasser. Wir ziehen die Wanderschuhe aus und gehen an einer geschützten Stelle baden. Das ist ein herrliches Gefühl nach der ganzen Anstrengung.
Das letzte Stück gehen wir auf bekanntem Weg. Die Son-
ne ist schon untergegangen und die Landschaft atmet die Wärme des Tages aus. Als wir das Haus erreichen duftet die
Luft schon nach Nacht.