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Reise nach Dornach

Jedes Jahr im Herbst machen wir mit dem ganzen Jugendseminar ein Reise ans Goetheanum, dem weltweiten Zentrum der Anthroposophie. Hier begegnen wir besonderen Menschen und begeben uns auf Spurensuche am Goetheanum und in uns selbst.
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Von Sonja //

Etwas unbeholfen und plump wirkt es, dieses Gebäude aus Beton, welches sich vor uns in die Luft erhebt. Dennoch fällt es schwer die Augen wieder abzuwenden, denn unweigerlich fragt man sich, was sich hinter diesen dicken stahlgrauen Mauern wohl befinden mag? Trotzig recken sie sich empor, fest und hart wirken sie, so als könne sie nichts mehr aus ihrer Bahn werfen. Und während ich noch überlege, ob ich dieses Gebäude nun schöne oder beängstigend finde, haben wir es schon betreten, um zu erfahren, was sich hinter seinen Mauern verbirgt.

Das Goetheanum ist ein Treffpunkt verschiedener anthroposophischer Fachbereiche aus der ganzen Welt. Das Goehteanum lebt von den Menschen, die es betreten, die versuchen ihre Ideen zusammen mit anderen Menschen zu konkretisieren, um sie schließlich umzusetzen. Innerhalb einer Woche machten wir die Bekanntschaft mit einigen solcher Menschen, die uns Einblick in ihre Arbeit schenkten.

Besondere Begegnungen

Da ist zum Beispiel Berno Otter, der uns eine Gartenführung auf dem Gelände des Goetheanums gab. In seinen wachen Augen spiegelt sich eine wissende und bodenständige Persönlichkeit, die sich fürsorglich der Landschaft des Juratals zuwendet, um ihren kalkhaltigen Boden zu bearbeiten. Oder Bodo von Plato, der sich mit Freude und Hingabe seiner Arbeit im Vorstand des Goetheanums widmet, immer begleitet von einer leichten Brise sehr feinen Humors und von einem vollen Terminplan – er verschwand eben so schnell von unserem Treffen wie er erschienen war.

Oder Johannes Kühle, ein Physiker, der uns in der Naturwissenschaftlichen Sektion (die entfernt an eine Hobbithöhle erinnert) von seinen Forschungsschwerpunkten berichtete. Die Naturwissenschaftliche Sektion arbeitet sehr eng mit der Landwirtschaftlichen Sektion zusammen und widmet sich unterschiedlichen Forschungsprojekten, wie etwa der Qualitätsuntersuchung von Heilpflanzen oder den Auswirkungen planetarischer Konstellationen auf Pflanzenwachstum. Auch die Bienen stellen ein immer wichtiger werdendes Forschungsprojekt dar, vor allem angesichts der weltweiten Problematik des Bienensterbens. Johannes Kühl selbst hat sich intensiv mit Goethes Farbenlehre befasst und widmet sich nun dem Verständnis der Quantenphysik.

Bildung und Gesundheit

Eine Begegnung, die mich sehr beeindruckt hat, war mit Hans Peter Röhr aus der Pädagogischen Sektion. Er ist ein sehr wacher und liebevoller Mensch, der lange als Klassenlehrer gearbeitet und eine Waldorfschule in Flensburg mitbegründet hat. Aufmerksam lauschte Hans Peter Röhr all unseren Fragen zur Pädagogik und freute sich über jede einzelne von ihnen, um anschließend auf die Fragen einzugehen und um uns sehr lebendig an seinem Erinnerungsschatz als Lehrer teilnehmen zu lassen. Dieses Gespräch verdeutlichte uns, wie bedeutend das Thema „Schul-Bildung“ ist, denn jeder von uns wurde erheblich durch den Ort geprägt, wo er als Kind zur Schule ging. Im Laufe des Gesprächs wurde uns klar, wie groß die Verantwortung der Lehrer ist, die einen „Lernort“ gestalten und wie wichtig es ist, dass sie die natürliche Neugierde der Kinder bewahren und schützen, so dass sich diese in einem selbstständigen, sich von Innen entfaltenden, Lernen ausdrücken kann.

Eine zweite Begegnung, die mich ebenfalls sehr beeindruckt hat, war mit Michaela Glöckler, welche uns eine Einblick in die Welt der Heilkunst schenkte und uns die Verbindung zwischen allen Sektionen verdeutlichte, da so sowohl die die Erziehung des Kindes eine großen Einfluss auf seine Gesundheit ausübt, als auch die Erforschung neuer Anthroposophischer Heilmittel.

Auf den Spuren Rudolf Steiners

Im Lauf der Reise lernten wir nicht nur die verschiedenen Persönlichkeiten des Goetheanums kennen sonder auch seine verschieden Gebäude. So erhielten wir die Gelegenheit das Sterbezimmer Rudolf Steiners zu betreten, in dem eine sehr ruhige Atmosphäre wahrzunehmen ist, und wir konnten uns im Rudolf Steiner Archiv im Haus Duldeck umsehen.

Ich fand es war spannend die Bibliothek Rudolf Steiners zu betrachten und mich dabei zu fragen, wer dieser Mensch eigentlich war? Er war sicher ein Mensch, der viele Gedankengänge anderer Menschen studiert hatte, wie die zahlreichen Bücher in seiner Bibliothek belegen. Die Bücher sind mit vielen Randnotizen gekennzeichnet und hin wieder fehlen einige Seiten, die von Steiner herausgerissen wurden, sobald sie seine Aufmerksamkeit weckten. Rudolf Steiner war ein Mensch, der diese Gedankengänge nicht nur studierte, sondern versuchte eine Methode zu entwickeln, mit deren Hilfe er ihren Wahrheitsgehalt überprüfen konnte. Seine jahrelange Arbeit spiegelt sich in seinen Hinterbliebenen Notizbüchern wider, die teilweise von vorne nach hinten, teilweise aber auch von hinten nach vorne, beschrieben wurden und zwischen komplexen Gedankengängen auch triviale Einträge enthalten wie: „Nicht vergessen heute Mittag die Suppe aufzuwärmen!“.

Die Welt steht Kopf

Trotz der vielen verschiedenen Erlebnisse auf unserer Reise hatten wir ein paar tägliche Rituale. Zum Beispiel betrachteten wir jeden Morgen die Glasfenster im großen Saal des Goetheanums, der auf mich mit seinen vielen Säulen, Deckenbemahlungen und Symbolen beinahe etwas erdrückend wirkte. Im Anschluss sangen wir gemeinsam ein paar Lieder und unserer schweren Augenlider wurden leicht und die Stimmen hellwach.

Unsere Reise wurde schließlich einer Wanderung zum Gempen (einem Berg nahe des Geotheanums) abgerundet, wo wir trotz des Windes den Aussichtsturm bestiege und den Blick in die wohltuende hügelige Landschaft genossen. Um etwas gegen die Kälte zu unternehmen, tanzten unser japanischen Seminaristen auf dem Turm, als sich der Rest von uns schon längst wieder auf festem Boden befand und sich dort zusammenkauerte. Loriana, unsere Eurythmie Dozentin aus Italien, musste überrascht eingestehen: „Und ich dachte immer, Italiener wären laut. Die Japaner stellen mein ganzes Weltbild auf den Kopf!“

Das Weltbild auf den Kopf gestellt bekommen! – das ist eine Aussage, die unsere Reise zusammen fast. Während unseres Aufenthalts in Dornach hatten wir die unterschiedlichsten Gefühle, unsere Neugierde entzündete in uns ein Feuerwerk aus Fragen und unser Verstand beäugte das
anthroposophische Geschehen hin und wieder misstrauisch und kritisch. Die Dornach-Reise war für jeden von uns ein aufwühlendes Erlebnis.