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„I see you“

Ist ein Abbild bereits ein Selbstportrait? Oder wie können wir dieses Selbst, das, was uns über unser Aussehen hinaus ausmacht, bildnerisch darstellen?
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Von Friederike //

Es war Freitag und der letzte Tag der Malwoche, mit der das Wintertrimester begann. Fünf Tage lang verwandelte sich unser ansonsten nur so genanntes „Atelier“ in ein richtiges Atelier. Fünf Tage lang hatten wir uns mit dem Thema Fremd- und Selbstporträts beschäftigt, ein intensives Thema, wenn man sich auf dessen Tiefe einlässt.

Mich beschäftigte dabei immer wieder die Frage, ob so ein exakt gezeichnetes Porträt meines Gesichts eigentlich als Selbstporträt bezeichnet werden kann. Bildet das wirklich mich, meine Person ab? Spiegelt dieses Abzeichnen
auf den ersten Blick erkennbarer Strukturen meines Kopfes mein Selbst wider? Was ist mein Anspruch an ein Selbstporträt? Wieso sollte ich das überhaupt tun? Was ist meine Intention dahinter?

Ein exaktes Abbild

An diesem Freitag saßen Jessi und ich uns gegenüber und versuchten, auf die vor uns liegenden Papierbögen ein möglichst exaktes Abbild dieses vor uns schwebenden Gesichtes abzuzeichnen. Wir zeichneten und zeichneten und schauten immer wieder mit prüfendem Blick auf das gegenüberliegende Gesicht.
Aber – schaue ich dabei eigentlich Dich an, Jessi? Was ist das für ein Blick? Sehe ich Dich?

Wir fingen an, anstatt auf dem anonymen Blatt zu zeichnen, in unseren Gesichtern die Konturen nachzufahren. Zwei sehr alte Frauen, gezeichnet vom Leben, schauten uns aus dem Spiegel mit ernstspöttischen Augen an. Es schien, als wollten sie uns sagen: „Komm, schau noch mal hin.“

Das Unsichtbare sichtbar machen

Was wäre, wenn wir nicht die oberflächlich sichtbaren Konturen in unseren Gesichtern nachzeichnen, sondern das Unsichtbare, und doch Erspürbare unserer Person in unseren Gesichtern mit Farbe sichtbar machen würden?

Zu dritt, gemeinsam mit Rahel, begann ein Prozess, der mehrere Stunden dauern sollte. Am Ende saßen wir da: Rahel, Jessica und Friederike. Am Sehen der Anderen zu uns Selbst erwacht. Das innere Wesen durch die fühlenden Finger der Anderen nach außen geflossen.

Das intuitive Hineinspüren in den anderen

Unsere Gesichter Zeugnisse eines Blickes, der nicht an den äußerlichen Konturen eines Gesichtes endet. Wir waren völlig überwältigt von der Erfahrung, wie viel vom eigenen Wesen und wie viele nie ausgesprochene Gedanken und Gefühle ein anderer Mensch erspüren und sehen kann, wenn wir uns die Zeit und den Raum dafür nehmen.

Vielleicht war das Besondere an dieser Erfahrung gerade
die Aufmerksamkeit, die wir dabei ungeteilt einander schenkten, das feine und intuitive Hineinspüren in die andere Person. Sich gegenseitig anzusehen mit einem Blick, der im eigenen Herzen anfängt und durch die oberflächlich sichtbaren Konturen unserer Gesichter hindurch sieht.