Loading...

Interview mit Michaela Glöckler

Mein Name ist Noel und ich bin Seminarist im Freien Jugendseminar. Ich bin hocherfreut darüber, dass mir die Möglichkeit geboten wurde, ein Interview mit Michaela Glöckler durchführen zu können. Ich habe ihr Fragen über ihre Vorgeschichte, die Anthroposophie und ihr Streben für die Welt gestellt, deren Antworten hier geschrieben stehen.
Home / Unkategorisiert / Interview mit Michaela Glöckler

Von Noel //

NOEL : WIE KAMEN SIE ZUR ANTHROPOSOPHIE?

MICHAELA GLÖCKLER: Meine Großmutter traf Rudolf Steiner in Berlin. Er gründete dort nach dem Ersten Weltkrieg eine Waldorfschule. Ihre beiden Kinder und acht weitere Adoptivkinder waren bei ihr untergekommen und besuchten die Waldorfschule. Als mein Vater meine Mutter kennenlernte, beschloss er zur selben Zeit in Stuttgart ans Lehrerseminar zu kommen, wo ihm nach drei Wochen eine dritte Klasse anvertraut wurde. Mithilfe meiner Mutter bereitete mein Vater abends immer den Unterricht für die Schule vor und so fand meine Familie einen schönen gemeinsamen Einstieg in die Waldorfpädagogik.

Schon in jungen Jahren beschäftigte ich mich mit tieferen Lebensfragen. Durch Nachwirkungen aus dem dritten Reich stellte ich mir die Frage, ob das Böse eine spirituelle Wirklichkeit sei. Eines Nachts las ich in der Bibliothek meiner Eltern einen Vortrag von Steiner, „Wer mir meine wichtigsten Lebensfragen beantworten kann, von dem kann ich lernen“ ich sehe diesen Moment als mein Einstieg in die Anthroposophie.

NOEL : WAS MACHTEN SIE ZUVOR IN IHREM LEBEN, BEVOR SIE SICH DER ANTHROPOSOPHIE WIDMETEN?

MICHAELA GLÖCKLER: Ich wuchs als Schülerin einer Waldorfschule heran. Dort fragte ich mich in jungen Jahren, ob ich wohl an der richtigen Schule gelandet bin, da ich lieber an ein Elitegymnasium gegangen wäre, wo ich die Möglichkeit gehabt hätte, geordneter zu lernen und angesehenere Abschlüsse zu erlangen.
Mein Vater beschloss ein freies Jahr von der Arbeit zu machen, um in Mexiko an einer Universität Waldorfpädagogik zu unterrichten und nahm dabei seine Familie mit. Dort konnte ich an ein Gymnasium gehen. Am Anfang gefiel es mir sehr gut, doch bemerkte ich immer mehr etwas, das ich als abstoßend empfand. Die Schüler betrogen die Lehrer und die Lehrer wussten es. Durch das unangemessene Verhalten der Schüler und der Erziehung zur Unehrlichkeit wurde mir bewusst, dass mein Platz an der Waldorfschule war, wo diese Werte von Wichtigkeit waren. Mit dieser Erkenntnis kehrte ich glücklich nach Deutschland zurück.
Nebenbei zur Schule und im weiteren Verlauf meines Lebens, sang ich viel und liebte es zu musizieren. Ich besuchte viele Opern und Theaterstücke, in denen es um Liebe und Freiheit ging. Diese halfen mir innerlich aufzugehen und das menschliche Seelenleben zu begreifen. Diese Erkenntnis kam später durch die Anthroposophie. Auf meinem Weg waren ein gutes Elternhaus, meine Jugenderfahrung in Mexiko, die Musik und die Dramen in der Oper von großer Bedeutung.

NOEL: WARUM HABEN SIE SICH FÜR DIE ANTHROPOSOPHISCHE MEDIZIN ENTSCHIEDEN?

MICHAELA GLÖCKLER: Bevor ich zur Medizin kam, ebnete den Weg erst einmal die Kunst und später die Waldorfpädagogik. Nach meinem ersten Staatsexamen in der Waldorfpädagogik beschloss ich, Medizin zu studieren. Die Entscheidung dazu bildete sich durch meine Erfahrung, die ich während meiner pädagogischen Ausbildung machte. Sechs Wochen bereitete ich eine 12. Klasse vor, welche das Theaterstück Don Carlos von Schiller inszenieren wollte. Als ich bemerkte, wie sehr sich die Schüler innerhalb von sechs Wochen veränderten, bekam ich einen Verantwortungsschock. Ich stellte mir die Frage, ob man denn überhaupt genau wisse, was man da tue und wie man bestmöglich lernen könne, einer solch großen Verantwortung gerecht zu werden. Da ich keine Antwort auf diese Frage fand, beherzigte ich den Rat des Schulmediziners.
Dieser riet mir Medizin zu studieren, um dort meine Antworten zu finden. Bei der Frage, ob ich wirklich ein Medizinstudium machen sollte, fiel ich in eine Krise, da ich gar nicht vorhatte, noch einmal zu studieren und endlich in der Welt selbstständig arbeiten wollte. Schließlich beschloss ich, ein paar Semester zu studieren, um den Menschen zumindest ein bisschen besser kennenzulernen. Diese Zeit entpuppte sich als die glücklichste meines ganzen Lebens. Die ganze Studienzeit mit allem, was dazu gehörte, belastete mich keineswegs. Voller Inspiration und größter Freude absolvierte ich mein Studium. Im Anschluss studierte ich Kinderheilkunde und arbeitete in der ambulanten Kindersprechstunde und schulärztlich an einer Waldorfschule. Das machte ich so lange, bis ich gebeten wurde mich ausschließlich in Dornach, um die Medizin zu kümmern und dort die Leitung der medizinischen Sektion zu übernehmen. Im Alter von 70 Jahren gab ich das Amt ab. Jetzt bin ich wieder freier, mich selbst zu organisieren. Mein Ziel ist es, immer etwas Sinnvolles für die Entwicklung des Menschen und der Welt zu tun.

“ICH WÜNSCHE DER MENSCHHEIT, DASS SIE AUS IHREN FEHLERN UND DER GESCHICHTE LERNT.”

NOEL: WELCHE AUSWIRKUNG HAT RHYTHMUS AUF UNS?

MICHAELA GLÖCKLER: Rudolf Steiner sagte, wenn man verstehen will, wie tote Materie lebendig wird, muss man Rhythmus studieren und die verschiedenen Rhythmen, die es gibt, kennen. Rhythmen sind die Bedingungen für Leben. Es gibt keine einzige lebendige Zelle, die nicht in einem Lebensrhythmus ist. Der Rhythmus kommt in die tote Materie und durch Integrierung und Anpassen der Rhythmen aufs eigene Leben, wird sie belebt. Interessant ist, wo die Rhythmen herkommen – sie kommen nämlich vom Himmel: Der Vierundzwanzig-Stunden-Rhythmus kommt von der Sonne. Der Wochenrhythmus von den Mondvierteln. Der Monatsrhythmus vom Mond und der Jahresrhythmus von der Sonne. Die Bäume machen Jahresringe, wir feiern Geburtstage und zählen Geschichte in Jahren. Das sind die langwelligen Rhythmen. Die kurzwelligen Rhythmen sind unter anderem Rhythmen im Sekunden- und Minutentakt und finden zum Beispiel im Gehirn statt. Jedes Organ hat seinen eigenen Rhythmus, der wiederum ein Unterrhythmus der Himmelsrhythmen ist. Heutzutage ist das Leben rhythmisch sehr ungesund und auch durch Strahlung, die sogenannten toten Strahlen, sehr gefährdet, weil sie den Rhythmus abtöten. Sehr heilsam bei Krankheiten ist der Siebentagesrhythmus. Rudolf Steiner gab auch viele anpassbare Übungen, um den Zeitrhythmus zu füllen.

NOEL: WIE ENTSTAND IHRE VERBINDUNG ZUM JUGENDSEMINAR?

MICHAELA GLÖCKLER: Über mehrere Jahre meiner Schul- zeit besuchte ich den Berufsorientierungskurs. Dies war so erfolgreich, dass die Anbieter des Kurses, darunter mein Vater, sich fragten, ob man diese Art Orientierung nicht auch über längere Zeit für Jugendliche anbieten könnte. Dies sollte dem besseren Kennenlernen der Anthroposophie dienen und dazu führen, eine bewusstere Berufswahl zu treffen. Als das Jugendseminar letztendlich möglich wurde, bekam ich die ganze Entwicklung des Jugendseminars von familiärer Seite mit. Ich erachtete es immer als sinnvoll, das Jugendseminar zu unterstützen, da ich die damaligen Berufsorientierungskurse immer gerne besuchte und sinnvoll für jeden Menschen finde.

NOEL: WAS MÖCHTE SIE MENSCHEN MITGEBEN?

MICHAELA GLÖCKLER: Ich wünsche den Menschen eine individuelle Entwicklung. Diese soll man mit Mut, Zuversicht und Vertrauen in sich selbst beginnen. Denn wenn man diese Grundbausteine besser beherrscht, hat man Lust, etwas zu lernen und man bemerkt, was es in der Welt braucht.

NOEL: WAS MÖCHTEN SIE DER MENSCHHEIT MITGEBEN?

MICHAELA GLÖCKLER: Ich wünsche der Menschheit, dass sie aus ihren Fehlern und der Geschichte lernt. Auf Basis dessen besteht die Möglichkeit, dass die Menschheitsentwicklung gut und konstruktiv weitergeht. Denn wenn wir so weitermachen wie die letzten zweihundert Jahre, machen wir uns und die Menschheitsentwicklung kaputt und das kommt daher, dass man nicht aus Fehlern lernen will und diese sogar verneint.

Anm. d. A.: Man neigt dazu, Menschen zu idealisieren, da es leichter ist, ihre Leistungen, die Endergebnisse, die bereits erfüllten Ziele und Träume zu sehen und der Weg im Verborgenen bleibt. Deshalb ist es so schön, das Leben von Michaela Glöckler beobachten zu können und zu erkennen, dass ein so erfolgreicher und weiser Mensch das durchgemacht hat, was wir als Seminarist*innen alle durchgemacht haben. Sie litt unter ähnlichen Frustrationen, sie hatte die gleichen Zweifel, die gleiche Hoffnung und den gleichen Wunsch, die Welt zu verändern, und sie hat es erreicht, das gibt uns Hoffnung, weiterzumachen, es motiviert uns. Es ist wie dieser kleine
Anstoß, der uns zur Veränderung bewegt, weiterzumachen, und dafür werden wir ewig dankbar sein.

WIR DANKEN IHNEN, MICHAELA.