Von Anna- Maria //
Das Jugendseminar ist ein Ort der Vielfalt. Jeder, der schon einmal dort war weiß, wie bunt es hier ist. Kulturen, Mentalitäten, Charaktere und Individuen treffen aufeinander und gestalten ein gemeinsames Leben.
Man lebt, lernt und wächst hier zusammen.
Dass diese Form des Lebens einen nicht ganz niedrigen Preis hat, vergisst man jedoch schnell, wenn man selbst keine finanziellen Schwierigkeiten hat. Es kommen aber Menschen aus aller Welt nach Stuttgart, um an diesem Ort sein zu können. Menschen aus Chile, Peru, Japan, Taiwan, Georgien, Russland, den Niederlanden, Deutschland. Menschen, deren Familien am Existenzminimum leben. Dass das Wirtschaftsleben auch zum sozialen Organismus und zur Ganzheit gehört und ein großes Thema ist, wird gerne vergessen.
Bisher war es so, dass das Jugendseminar an die Menschen, die aus wirtschaftlich schwächeren Familien kamen, Darlehen vergeben hat. Das heißt, man verließ das Jugendseminar mit einem Haufen Schulden. Oder man musste während seiner Freizeit im Seminar arbeiten gehen.
Daraus entstanden die Fragen:
Wie können wir das ändern?
Wie können wir neben dem gemeinsamen Lernen und Leben, auch ein Bewusstsein für die wirtschaftlichen Fragen im Seminaralltag integrieren?
Im Sommer 2021 kam die Idee auf einen Seminarist*innen-Solidaritäts-Fonds zu gründen.
Was sollte das sein?
Der SemiSoliFonds sollte ein Projekt von Seminarist*innen für Seminarist*innen werden. Die Idee war, dass nicht mehr nur die Semi’s arbeiten gehen, die auf das Geld angewiesen waren, sondern so viele wie möglich. So konnte die Arbeitszeit verteilt werden, damit nicht nur Einzelne viel arbeiten, sondern alle ein wenig. Das Geld, welches „zu viel“ verdient wurde, konnte dem Fonds gespendet werden. Diese Idee an sich kam in der Gemeinschaft gut an, aber der Schritt in die Umsetzung, dass ich nicht für mich, sondern für andere arbeiten gehe, war und ist für manche (noch) zu groß.
Da kam die Idee auf, einen Solidarbeitrag seitens der Arbeitgeber anzufragen. Die Spende in den SemiSoliFonds ist nun von beiden Seiten möglich. Der Arbeitgeber gibt einen höheren Stundenlohn, der dann in den SemiSoliFonds geht. Außerdem sollte der Fonds durch Stiftungsgelder gefüllt werden. Ich schrieb ein Jahr lang in Zusammenarbeit mit Herrn Barzen an einem Stiftungsantrag. Es war ein Jahr, in dem ich mit viel Geduld erstmal selbst das Projekt kennenlernen und verstehen musste. Die Geduld zahlte sich mit einem Erfolg aus. Für mich war dieser Erfolg ein Zeichen für die Zukunftsfähigkeit des Projektes.
Ist nicht genau das Solidarität, Verantwortung zu übernehmen, für etwas, das über meine eigenen vier Wände hinausgeht?
Also beschloss ich, mich nach meiner Seminarzeit weiterhin bei der Entwicklung des SemiSoliFonds zu beteiligen. Mit der Bedingung, dass jeder Seminarist und jede Seminaristin bereit ist die Grundidee mitzutragen: Nämlich, dass niemand zurückgewiesen wird, weil er die Seminargebühren nicht aufbringen kann. Und dass alle einen Teil dazu beitragen einen Ausgleich zu schaffen, egal in welcher Form.
So entstand eine Gruppe, die fast jede Woche für den SemiSoliFonds chorische Straßenmusik macht. Und außerdem die Idee, einen Benefizkulturabend zu veranstalten und einen Teil der Vielfalt und Buntheit des Jugendseminars der Welt zu zeigen.
Meine Hoffnung ist, dass die Menschen, die das Jugendseminar verlassen, mit etwas mehr Bewusstsein auch für das Wirtschaftsleben in die Welt gehen und den Samen, der am Seminar gesät wurde, durch ihre eigenen Ideen und Ideale keimen und groß werden lassen.