38 Menschen aus zwölf Nationen in einem Haus. Unter demselben Dach folgen sie alle dem gleichen Tagesablauf. Ein ganzes Jahr lang. «Leicht geht anders», merken die meisten schnell. Aber genau deshalb schätzen sie die Zeit am Freien Jugendseminar in Stuttgart, das ein Experimentierraum sein möchte für junge Menschen, die nach ihrem Platz und ihrer Aufgabe im Leben, sich selbst und ihrem Verhältnis zur Welt suchen. In diesem Monat feiert die Einrichtung ihr 60-jähriges Bestehen.
Die Anfänge des Jugendseminars, das 1964 eröffnet wurde, reichen aber noch viel weiter zurück. Das weiß Marco Bindelli, der die Institution seit 22 Jahren leitet. «Im Grunde müssen wir da auf die Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges schauen. Der Krieg hatte besonders junge Menschen vollkommen entwurzelt und sie quasi sinnentleert und ohne jede Idee für die Zukunft zurückgelassen», berichtet er aus Überlieferungen. Das Charakteristische sei damals schon gewesen, dass sich aus dieser Situation heraus nicht die ältere Generation die Frage gestellt hätte, wie man dem begegnen könne und etwa ein Konzept entwickelt hätte. Vielmehr sei es so gewesen, dass die Jüngeren sich aktiv mit individuellen Anliegen an die Älteren gewandt hätten, weil sie ahnten, dort Orientierung zu finden. Dieser Duktus lebt am Jugendseminar noch heute. Das ist Seminarleiter Bindelli wichtig. «Wir verstehen uns als Experimentierraum auf Grundlage der Anthroposophie, in dem junge Menschen sich selbst im Verhältnis zur Welt ausprobieren können. Wir überlegen uns nicht nur, was wir für junge Menschen tun möchten, sondern wir gehen auch auf das ein, was sie sich von uns wünschen und was sie brauchen», erklärt Bindelli.
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