Von Marco Bindelli //
Liebe Freunde und Unterstützer des Jugendseminars!
In Zeiten wachsender Entgeisterung sind wir dabei, das Jugendseminar immer mehr zu einer Schmiede für fruchtbare Ideen der Zukunft zu machen. Wir orientieren uns dabei auch an Sekem, der sehr erfolgreichen Entwicklungsinitiative in Ägypten. Nicht weil wir glauben, es ihr gleich zu tun, sondern weil die Prinzipien, nach denen sie dort arbeiten, sehr inspirierend sein können.
Wenn man auf Europa und auch auf viele andere Weltregionen blickt, kann man immer mehr den Eindruck einer seelisch-geistigen Verwüstung bekommen. Gleichzeitig scheint ein Sturm aufzuziehen, der alle Ordnungen, die wir uns nach dem 2. Weltkrieg gegeben hatten, hinwegzufegen droht. Ein Hauptelement davon ist die rasante Digitalisierung fast aller Lebensbereiche in den letzten Jahren. Nicht umsonst hat man in Australien inzwischen ein Gesetz verabschiedet, bei dem sich Opposition und Regierung einig sind. Es sieht vor, den Zugang zu den sog. (a)sozialen Netzwerken für alle Kinder und Jugendlichen unter 16 Jahren schlicht zu verbieten. Die Begründung lautet: wir sehen einfach die verheerenden Folgen an der nachwachsenden Generation und wir wollen dieses Gesetz gut und wirksam machen, denn es könnte ein Vorbild für die ganze Welt werden.
Auch Sie haben sicher schon viele erschreckende Phänomene, was die Lernfähigkeit, den Zugang zur Realität oder das Erleiden von Mobbingattacken bei jungen Menschen erlebt. Sie verbringen einfach viel zu viel Zeit mit sehr viel inhaltlichem Müll. Jacques Lusseyrans Buch „Gegen die Verschmutzung des Ichs“ ist nicht umsonst bei den Jugendseminaristen wieder sehr beliebt und wird wieder verstärkt gelesen. Sie erleben genügend an sich selbst und ihren Altersgenossen, was die ungestaltete Digitalisierung der Kindheit und Jugend angerichtet hat.
Wir sind daher überzeugt, dass das nächste große Menschheitsthema nach dem erwachten Umweltbewusstsein der Innenweltschutz sein wird. Natürlich kann man nicht alleine mit Verboten dieser Entwicklung wieder Herr werden, aber es ist ein erster Schritt, der sichtbar macht, welche Verwüstungen der seelischen Entwicklung schon erkennbar sind. Wir brauchen zusätzlich positive Lern- und Lebenserfahrungen und wieder eine neue Verbindung zum Geist, um der KI die Attraktivität auf den Gebieten zu entziehen, auf denen sie nichts zu suchen hat.
Das Vakuum an neuen Ideen und Impulsen, das wir auf allen gesellschaftlichen Feldern beobachten, kommt ja von mangelnder Inspirations- und Intuitionsfähigkeit und diese hängt wieder davon ab, womit wir unser Bewusstsein beschäftigen und füllen. Daher wagen wir den Vergleich mit Sekem, denn imaginativ betrachtet sind wir längst in einer seelisch-geistigen Wüste angelangt. Ibrahim Abouleisch (Gründer von Sekem) begann einst mitten in der Wüste nach Wasser zu bohren, baute einen Brunnen und begann, um ihn herum eine fruchtbare Oase aufzubauen.
Inzwischen ist daraus eine ganze Bewegung geworden und es haben sich tausende kleine und größere Partner weltweit angeschlossen, die zusammen ein großes Netzwerk bilden. Es ist durchaus nicht unrealistisch, dass Ägypten das erste Land auf der Erde wird, das seine Landwirtschaft komplett auf biologisch dynamische Wirtschaftsweise umstellt. Auf dieser Grundlage haben sie dann einen Weg begonnen, der vor allem die Bildung junger Menschen immer mehr in den Mittelpunkt stellt und mit großer moralischer Phantasie bis zu einer neuartigen Universität führte.
Natürlich können und wollen wir dieses Projekt nicht eins zu eins wiederholen, aber den Brunnen zum „Wasser des Lebens“ haben wir hier durchaus gebohrt, wenn auch in die entgegengesetzte Richtung. Er ist unsere Quelle von oben, die den jungen Menschen ermöglicht, ihr Seelenleben zu reinigen und zu bereichern. So wie man auf Sekem von unten über den Einsatz der verschiedenen Künste die Menschen wieder anschlussfähig für die Ideenwelt macht, ist bei uns der Weg von oben über die künstlerische Durcharbeitung der Seele ins praktische Leben veranlagt. Dies ermöglicht den jungen Menschen, wieder zu sich und zu gesunden und zukunftsweisenden Ideen zu kommen. Die Fruchtbarkeit dieser Arbeit konnten wir im Sommer erleben. Hunderte junge und junggebliebene ehemalige Seminaristen kamen zu uns, um mit den aktuellen Menschen hier vor Ort unser 60-jähriges Jubiläum zu feiern. Ihre leuchtenden Augen sprachen für sich.
Unser Jubiläum hatte das Motto: „Das Künftige ruhe auf Vergangenem.“ In diesem Sinne haben wir nicht nur mit großer Dankbarkeit auf das Erreichte zurückgeblickt, sondern vor allem die Frage bewegt, was es heute und in Zukunft braucht! Unserer Auffassung nach stehen wir vor einem Umschwung in der Bildung, der ungekannte Ausmaße annehmen wird. Sie wird viel weniger intellektuell, sondern spirituell, künstlerisch und praktisch zugleich sein müssen. Nur wenige Orte können sich schon jetzt dieser Art der Bildung so frei und intensiv widmen, wie das hier möglich ist.
Das Besondere am Seminar ist es, mit jungen Erwachsenen gemeinsam vertrauensvoll und auf Augenhöhe an der Bildung der Zukunft zu forschen und sie lebensorientiert umzusetzen. Es wird dabei ersichtlich, dass der Hunger nach Sinn und die Suche nach Quellen der Lebensfreude und Lebenskraft schier unstillbar ist. Es sind immer wieder sehr befriedigende Momente, wenn wir Aussagen, wie diese entgegennehmen dürfen: „Kann es sein, dass die intensive Beschäftigung mit unseren Inhalten meiner Seele innere Ruhe schenkt?“ „Ich habe in letzter Zeit so viel gemacht, dass ich eigentlich längst hätte krank werden müssen, aber ich bin es nicht, im Gegenteil, ich fühle wachsende Kraft und Freude, eher noch mehr zu machen.“ „Ich habe hier wieder an meinem Wissensdurst aus meiner Kindheit anknüpfen können und entdecke die Welt wieder mit großer Neugier und wachsendem Gewinn.“ „Ich habe großen Hunger nach geistvollen Gedanken.“ „Als ich hier zum ersten Mal im Foyer stand, fühlte ich mich wie in einem Tempel der Menschwerdung.“ Wir erleben an solchen Aussagen die Bestätigung folgender Sätze aus der letzten Lebenszeit von Rudolf Steiner: „Der Mensch braucht zur Sicherheit im Fühlen, zur kraftvollen Entfaltung seines Willens eine Erkenntnis der geistigen Welt“ und „Der Mensch braucht zur inneren Ruhe die Selbst-Erkenntnis im Geiste“. Beides wird hier möglich.
Eine Bildung, auf den Prinzipien der Angst oder des Ehrgeizes beruhend, führt nicht mehr zu den Fähigkeiten, die wir für die Zukunft brauchen. Deshalb wollte sie Rudolf Steiner auch schlicht streichen und durch die Liebe zum jungen Menschen ersetzen. Eine zukünftige Bildung ohne bewusste Verbindung zur geistigen Welt ist für uns nicht mehr vorstellbar, wenn man erreichen möchte, dass Menschen die inneren und äußeren Werkzeuge erlangen sollen, in der Welt menschlich zu bestehen, die wir ihnen hinterlassen. Ebenso müssen sensible Wahrnehmung, Empathie und Schönheitsempfinden genügend Raum und Zuwendung bekommen, wenn wir lebendige Zusammenarbeit möglich machen wollen.
All dies können wir hier täglich beobachten und üben. Das Bedürfnis nach Ausbildung dieser wichtigen Fähigkeiten führt dazu, dass immer mehr Seminaristen nach bewusster Schulung ihrer erwachten Talente fragen. Das führt zu Fragen weiterer neuer Bildungsformen und braucht schlicht mehr Zeit.
Unser Angebot ein zweites Jahr dafür zu nutzen erfreut sich daher wachsender Beliebtheit.
Inzwischen haben sich ein Dutzend Seminaristen dazu entschlossen, das, was sie bisher genossen haben, selber so weit zu durchdringen, dass sie es möglichst selbst an Gleichaltrige weitergeben können. „Ich möchte lernen, so selbständig mit Anthroposophie umgehen zu können, dass ich sie in zeitgemäßer Form unterrichten kann. Ich sehe, wie in so vielen Schulen oder anderen Einrichtungen inzwischen die geistige Substanz so dünn geworden ist, dass ich in Zukunft dem etwas Positives und Neues entgegensetzen möchte.“ „Wie kann ich die Methoden und Werkzeuge kennenlernen, die ich hier erfahren durfte?“ Es keimt daher eine Initiative, die man vorläufig als Jugendakademie für Anthroposophie bezeichnen kann. In unserem nächsten Rundbrief im Sommer werden wir Ihnen sicher schon Genaueres berichten können.
All dies will natürlich auch in angemessener Weise finanziert sein und daher haben einige Seminaristen sich auch den sog. SemiSoliFonds zur Aufgabe gemacht. Sie wollen durch eigene Aktivitäten, aber auch durch die Werbung um Unterstützung genügend finanzielle Mittel gewinnen, sodass niemand mit echtem Hunger aus finanziellen Gründen nicht am Seminar teilnehmen kann.
Wir bitten Sie daher, unsere Oase nach Ihren Möglichkeiten zu unterstützen. Ob es der angesprochene SemiSoliFonds, der Kunstfonds (für den wachsenden Bedarf mehr künstlerische Arbeit zu ermöglichen) oder das Seminar im Allgemeinen ist. Jeder Beitrag ist willkommen!
Helfen Sie uns, die Oase der Menschlichkeit weiter zu entwickeln, denn in Wirklichkeit wächst das Seminar durch die jungen Menschen ständig über sich hinaus, die wiederum Oasen in aller Welt neu mitgründen oder schon gebaut haben. Auch das konnten wir auf unserem Jubiläum erfahren! Das Seminar ist eine immerwährende Investition in die Hoffnung auf eine menschlichere Zukunft jenseits von Dystopie und Nostalgie!
Nun bleibt uns noch, Ihnen ein gutes neues Jahr zu wünschen und Sie bald wieder einmal als Gäste in unserem Hause begrüßen zu dürfen. Verlieren Sie trotz der wachsenden Bedrohungen nicht den Glauben an die Menschheit. Wir tun es auch nicht!