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Ägypten – Ein Land der Kontraste – 1.Teil

Ägypten-Spezial | Ein Bericht von Lena Sutor-Wernich | Fotos: S.Knust, u.a.
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Wie reist es sich nach Ägypten im Ausnahmezustand?

Dieser Frage und mancher Sorge sahen wir uns durchaus ausgesetzt, als wir am 10. April 2017 unser Flugzeug nach Ägypten bestiegen, dem Montag der Karwoche, der auf ein Wochenende mit zwei Anschlägen auf koptische Kirchen bei Alexandria folgte. – Wir waren also auf den Spuren einer antiken Hochkultur und in Neugier auf das heutige, arabisch geprägte Ägypten sechs Jahre nach dem arabischen Frühling und in einer Zeit wachsender Spannungen und Terror in der Welt.

Was für Lebenswirklichkeiten würden uns jenseits aller vielleicht einseitigen Berichterstattungen in den Medien erwarten?

Welche Verbindungen würden wir finden zwischen diesen gegensätzlichen Welten des antiken und des modernen Ägypten einerseits und – anthroposophisch angeschaut – zwischen der dritten Kulturepoche und ihrer Spiegelung in unserer heutigen fünften Kulturepoche?

Kairo – mitten hinein ins heutige Ägypten

Die ägyptische Hauptstadt begrüßte uns mit einer lebendig-chaotischen Atmosphäre. Schon auf der ersten Fahrt vom Flughafen in die Innenstadt, wo wir unser Hotel unweit des berühmten Tahrir-Platzes bezogen, konnten wir erste Bekanntschaft mit dem Kairoer Verkehr machen: Verkehrszeichen wie beispielsweise rote Ampeln sind nur als grobe Empfehlung zu verstehen, es wird unablässig gehupt, wohl als Warnung vor waghalsigen Überholmanövern und als Ersatz fürs Blinken, man fährt auch gern mal entgegen der Fahrtrichtung, wenn es die eigene Route verlangt… Auf den Straßen tummelt sich eine bunte Mischung an Fortbewegungsmitteln, von importierten Wägen aus Deutschland über uralte verbeulte Karossen, verrostete Kleinbusse oder Kleinlaster, auf deren Ladefläche sich Menschen drängen, bis hin zu Esel- oder Pferdekarren, die von ihren teilweise sehr jungen Besitzern selbstbewusst durch das Gewusel gelenkt werden. Sogar Schafherden begegneten uns auf den Highways von Kairo.

Es war ein kluger Schachzug unseres Ägypten-erfahrenen Reiseführers Bruno Sandkühler (von seinen ägyptischen Freunden nur „Doktor Bruno“ genannt), uns als erstes der quirligen Metropole auszusetzen, die bei allen Unwägbarkeiten vielleicht noch am ehesten mit europäischen Großstädten vergleichbar ist und uns gleichzeitig einen lebendigen Eindruck in heutiges ägyptisches Leben verschaffte.

So trainierten wir von Anfang an unsere Unerschrockenheit und Entschlossenheit im Überqueren von dicht befahrenen Straßen, lernten den konsequenten (Nicht-)Kontakt mit aufdringlichen Souvenirhändlern und erlebten sehr eindrücklich, wie sehr sich ägyptisches Leben auf der Straße abspielt.

Von der Terrasse im elften Stock unseres Hotels hatten wir einen Rundum-Blick auf die vermüllten Dächer und hörten zu den traditionellen Gebetszeiten den Muezzin-Ruf sozusagen „Stereo“ aus allen Himmelsrichtungen. Manchmal zeigten sich die Dächer in der Ferne nur sehr verschwommen durch ein undurchdringliches Gemisch aus spürbarem Smog und Sand.

Frage nicht „Warum?“

Die erste Regel in Ägypten heißt: Frage nicht „Warum?“! Wir alle brauchten eine Weile, um diese Regel zu verinnerlichen, doch erwies sie sich als sehr hilfreich – denn meist gibt es auf das Warum einfach keine Antwort.

Wieso zum Beispiel das ägyptische Museum mit seinen reichen Kulturschätzen nicht gepflegter und kundenfreundlicher gestaltet ist, entzieht sich dem Verständnis, ebenso wie die Tatsache, dass Führungen dort nicht erlaubt sind.

Nichts desto trotz hatten wir an unserem ersten vollen Tag in Kairo einen interessanten Besuch in dem herrschaftlichen Museumsbau.

Am Nachmittag unternahmen wir einen Ausflug in das mittelalterliche islamische Viertel, wo wir vor der Al-Hossein Moschee umwuselt von streunenden Katzen und Straßenhändlern unser Mittagessen einnahmen.

Der Rundgang durch die Altstadt führte uns an zahlreichen kleinen Läden mit mehr oder weniger touristischem Charakter vorbei, dazwischen Moscheen und ein mit Hilfe der UNESCO restaurierter Straßenzug. Überall saßen die Menschen auf der Straße, rauchten Shisha, handelten, unterhielten sich oder machten Musik… Nach all dem bunten Treiben tat es gut, sich in den weitläufigen ruhigen Innenhof einer Moschee unweit des alten Stadttores zu begeben. Uns alle faszinierte die friedvolle Stille dort.

Am Abend hatte Bruno Sandkühler ein Gespräch mit Astrid Lüthje, einer Lehrerin an der Deutschen Katholischen Schule in Kairo, arrangiert, deren Erzählungen aus dem modernen Kairo wir nach Einbruch der Dunkelheit gespannt auf der Hotelterrasse lauschten. Sie sprach unter anderem auch über die Situation zwischen Christen und Muslimen, vor allem nach den jüngsten Anschlägen, und machte deutlich, dass der Zusammenhalt zwischen den beiden Religionsgruppen im Großen und Ganzen gut und durch die tragischen Ereignisse eher noch gestärkt worden sei. Die Überzeugung, dass der Anschlag ein Gewaltakt gegen alle Ägypter gewesen sei, herrsche vor. Oft würde die Situation von ausländischen Medien falsch bzw. einseitig dargestellt, was Astrid Lüthje beklagte.

Sie machte uns auch neugierig auf das reiche Kulturleben in Kairo – in Ägyptens Hauptstadt gibt es kulturell wohl nichts, was es nicht gibt: von Jazz und Modern Dance über klassische Oper, bis hin zu pharaonischer Musik und Bauchtanz.

Die Schattenseiten der Metropole: Armut und Hoffnung im modernen Ägypten

Am darauffolgenden Tag führte uns unser Weg in eine der zahlreichen „informellen Siedlungen“ Kairos. Wir besuchten die „Kooperative zur Entwicklung der Umwelt“, ein Sozialprojekt im Viertel Moytamadeia. Dieses Projekt wurde vor über dreißig Jahren von einer deutschen Nonne gegründet, um die Lebenssituation der so genannten „Müllmenschen“, der Zabbalin, zu verbessern. Die Zabbalin sind historisch bedingt hauptsächlich Kopten, die in Kairo seit langem parallel zur offiziellen Müllabfuhr für das Recycling verantwortlich sind.

Die Lebensverhältnisse der Müllmenschen sind oft katastrophal – früher lebten sie in Wellblechverschlägen direkt in den Müllbergen. Dank der Aktivitäten der Kooperative hat sich die Lebens- und Bildungssituation der Zabbalin in vielerlei Hinsicht verbessert, doch es gibt noch immer viel zu tun. Die informellen Siedlungen Kairos, in denen illegal hauptsächlich auf Fruchtland gebaut wird, sind in den letzten Jahrzehnten stark gewachsen. Man findet in diesen Vierteln mit bis zu 300.000 Menschen pro Quadratkilometer die höchste Siedlungsdichte der Welt und immer noch leben die Menschen in großer Armut.

Es war eine in vielerlei Hinsicht eindrückliche und auch bedenkenswerte Erfahrung, mit diesen Verhältnissen in Berührung zu kommen, und uns allen wurde noch einmal neu und unmittelbar bewusst, in welch krassem Ungleichgewicht sich unsere Welt befindet.

Nach unserer Rückkehr ins Hotel verbrachten wir den Nachmittag mit einer offenen Gesprächsrunde auf der Terrasse und konnten dabei das Aufziehen von dunklen Wolken am Himmel beobachten, die sich am frühen Abend in einem für Ägypten sehr seltenen Regenguss entluden!

Einen lebendigen Einblick in das Kairoer Leben gab uns ein abendlicher Besuch in einem der zahlreichen Shisha-Cafés, wo Ägypterinnen und Ägypter aller Couleur friedlich und entspannt auf der Straße saßen.

Vollendung am Anfang: Die Pyramiden

An unserem vierten Tag näherten wir uns in unserem „Harry Potter-Tours“ Kleinbus den ersten monumentalen Bauwerken des alten Ägyptens: den Pyramiden.

Zunächst besichtigten wir die Pyramide von Sakkara und den umliegenden Tempelbezirk mit hilfreichen Erläuterungen von Bruno Sandkühler. Die Pyramide von Sakkara ist der erste Steinbau der Menschheit, vom Ur-Architekten Imhothep für Pharao Djoser um 2700 vor Christus errichtet. Hier hat man das ganze Reich in Ober- und Unterägypten wie in einem großen Modell zusammengefasst. Hier lief der Pharao rituell auf dem großen Hof die Reichseinigung ab. Die dazugehörigen Gräber aus dem alten Reich zeigten in sehr lebendigen Reliefs Szenen aus dem Alltag.

Später dann ragten die Pyramiden von Giza vor uns auf. Ehrfürchtig wagten wir den Weg in das Innere der Cheops-Pyramide, der stetig und eng aufwärts führte, bis wir in der innersten Grabkammer angelangt waren. In der stickigen Hitze schauten wir uns in dem schlichten, verhältnismäßig kleinen Raum um. Ein paar von uns traten unmittelbar den Rückweg an, eine kleine Gruppe jedoch harrte aus und brachte den ägyptischen Aufseher an seine Grenzen: zunächst erregten schlichte Eurythmie-Übungen sein Misstrauen, dann begannen ein paar von uns zu singen, was ihn dazu veranlasste, uns sofort des Raumes zu verweisen. Wir jedoch blieben, still und unbeugsam, und nach einer Weile gab der Aufseher nach, schaltete den lärmigen Ventilator aus und gab uns zu verstehen, dass wir nun singen dürften.

Welch ein Erlebnis, die archaischen Harmonien des Kanons „Da pacem cordium“ in dieser Atmosphäre zum Klingen zu bringen!

Tief erfüllt stapften wir zurück ans Tageslicht.

Wir mussten uns nun etwas beeilen, um noch vor Torschluss zum riesigen Sphinx zu gelangen, den wir dann in der Abendsonne bestaunten.

Früher standen die Pyramiden weit entfernt von der Hauptstadt in der Wüste – mittlerweile ist Kairo bis an die Tatzen des Sphinx vorgerückt, so dass wir direkt von unserer Besichtigung in das abendliche städtische Treiben eintauchten.

An diesem Abend hieß es Abschied nehmen – in einem Nachtzug traten wir unsere Weiterreise nach Luxor an.