Loading...

Ägypten – Ein Land der Kontraste – 2.Teil

Ägypten-Spezial | Ein Bericht von Lena Sutor-Wernich | Fotos: S.Knust, u.a.
Home / Ägypten-Spezial / Ägypten – Ein Land der Kontraste – 2.Teil

Luxor – Theben – Oped: das mittlere Ägypten unter der Erde, aus der Luft und zu Wasser

Am nächsten Morgen erwartete uns Hassan am Bahnhof in Luxor – Doktor Brunos treuer Freund und Fahrer seit über 15 Jahren, der auch uns mit seiner lustigen und ruhigen Art ans Herz wachsen sollte. „Keine Panik auf der Titanic“ stand auf seinem weißen Kleinbus, der uns in den nächsten Tagen rund um Luxor und sogar nach Assuan begleitete.

Etwas gerädert durch die Nacht im Zug erreichten wir das Marsam-Hotel am Westufer des Nils, gerade an der Grenze zwischen den wogenden Kornfeldern einerseits und den ockerfarbenen Wüstenbergen andererseits gelegen und mit seinem lauschigen Innenhof, dem wunderbaren Blick und dem freundlichen Personal eine wohltuende Bleibe für die nächsten Tage. Kein Wunder, dass Bruno Sandkühler diesen Ort als sein Hauptdomizil in Ägypten gewählt hat!

Nach einem reichhaltigen Frühstück und Mittagessen traten wir unsere erste Erkundung an. Die nächsten Tage waren ganz der Kultur des Neuen Reiches und ihren Grabstätten und Tempeln gewidmet. Wir begannen diesen Bogen mit einer Besichtigung einer antiken Handwerkersiedlung (Deir El Medina) mit wunderschönen, prächtig erhaltenen Gräbern, über deren Farben- und Detailreichtum wir alle staunten, ebenso wie über das Selbstbewusstsein der damaligen Handwerker, sich in einer hierarchischen Gesellschaft wie der pharaonischen so üppig für ihr nachtodliches Leben auszustatten.

Die Beschäftigung mit den Grabstätten und Totentempeln war auch insofern gut gewählt, als dass wir uns zeitlich im Zentrum des christlichen Passiongeschehens befanden. Während es in Deutschland mancherorts schneite, lasen wir an diesem Karfreitagsabend bei lauen Temperaturen und klarem Sternenhimmel in der Bibel über das Geschehen der Zeitenwende, das sich historisch gar nicht so weit weg von uns zugetragen hatte.

Am Karsamstag besuchten wir den Medinet Habu-Tempel, Totentempel des Pharaos Ramses III, der dem „Lokalgott“ Thebens, Amun, geweiht ist. Die Götter-Dreiheit Thebens in Form von Amun, seiner Frau Mut und dem Jugendlichen Gott Chons, begegnete uns immer wieder in den nächsten Tagen. Ebenso wurden wir immer vertrauter mit der urbildlichen Polarität von Ober- und Unterägypten und ihrer hieroglyphischen Darstellung. Die Vereinigung dieser Gegensätze war ein äußerst wichtiger Akt für das alte Ägypten. So wie ein Mensch erst durch das Zusammenspiel von Ein- und Ausatmen lebensfähig ist, so war auch das antike ägyptische Reich nur im Zusammenwirken von Ober- und Unterägypten ein funktionierender Staat. Dafür standen in Ägypten die Götter Horus und Seth, denen wir im Allerheiligsten des Tempels vereint bei der Hyroglyphe für „Lunge“ begegneten.

Weiter ging unsere Erkundung der Nekropole mit den Gräbern der Edelleute, darunter ein ungewöhnlich gebautes Grab eines Wesirs aus dem 15. Jahrhundert v.Chr, das als schräger Schacht in den Stein gebaut war. Hier waren neben vielen Szenen aus seiner hohen Verantwortung für die Verwaltung des ganzen Landes vor allem die Bilder des sog. Mundöffnungsrituals zu bewundern.

Am Ostermorgen brachen wir zum Tempel der Königin Hatschepsut auf. Die imposante Anlage schmiegt sich ins bergumkränzte Tal der Göttin Hathor wie in eine Bucht oder in einen Mutterschoß, ist also auf erstaunliche Weise eng mit der umliegenden Landschaft verknüpft. Die selbstbewusste Aussage des Tempelarchitekten und Hatschepsut-Vertrauten Zenmut, dass er jemand sei, der nichts von den Vorvätern nachgeahmt habe, wurde bei unserer Besichtigung eindrücklich erlebbar. Die liebevolle Darstellung der einzigen Pharaonin ließ das besondere Verhältnis der beiden erahnen. Die Darstellung der Reise nach Punt (vermutlich die Gegend des heutigen Somalia und Eritrea) wurde uns von Bruno sehr kenntnisreich erklärt und wir vergaßen, dass wir an einem der heißesten Orten der Erdoberfläche waren.

Nachmittags wanderten wir ins Tal der Könige, ein weitläufiges Gelände mit über 60 Pharaonengräbern, von denen wir drei besichtigten. Wir staunten über die differenzierte und komplexe Darstellung des nachtodlichen Weges eines Menschen, vor allem bei Thutmosis III., waren berührt von der innigen Beziehung zwischen Pharao und den Göttern, die in den Wandmalereien zum Ausdruck kam und erlebten die Kargheit der Wüstenberge als erdende, ruhige Klarheit. Als höchste Erhebung ragte der Berg der Göttin „Meret Seger“, „die Göttin, die die Stille liebt“, in der natürlichen Form einer Pyramide vor uns auf und vermittelte eben diese erhabene Stille.

Am darauf folgenden Tag konnten einige von uns die Landschaft nochmal in einem atemberaubenden Überblick von oben erleben – bei einer Fahrt mit einem Heißluftballon bei Sonnenaufgang.

Später am Morgen brachte uns ein Boot über den Nil zum Ostufer und damit zum Tempelgelände von Karnak, das mit dem Hatschepsut-Tempel durch eine gerade Achse über den Nil hinweg verbunden ist. Neben dem gewaltigen Säulen des Haupttempels beeindruckten uns vor allem die rote und weiße Kapelle mit ihren feinen Hyroglyphen und der Darstellung aller Gaue.

Nach unserer Besichtigung des Tempelbezirks wurden wir mit 12 Pferdekutschen in die Innenstadt von Luxor kutschiert, was sowohl den Kutschern als auch uns Insassen große Freude bereitete!

In Luxor besuchten wir den Bazar und „plünderten“ dort einem Laden mit Tüchern und Schals, dessen Besitzer mit Doktor Bruno befreundet war.

Ägypten ist ein Geschenk des Nils – Begegnungen mit dem Nil und der nubischen Kultur

Die Abfahrt am nächsten Morgen fiel uns allen etwas schwer, hatten wir uns doch im Marsam-Hotel sehr wohl gefühlt.

Mit zwei Kleinbussen zuckelten wir durch die ägyptische Landschaft, durch karges Gelände, durch Ortschaften, vorbei an einer riesigen Zuckerrohrfabrik, an Palmenhainen entlang, bis wir unsere Zwischenstation, den Tempel von Edfu, erreicht hatten.

Dieser Tempel aus ptolemäischer Zeit beeindruckte uns mit seinem sich stetig verengenden Weg bis zum Allerheiligsten, vom Hellen ins Dunkle. Ebenso staunten wir über das „Drehbuch“ des Kampfes zwischen Horus und Seth, dass im Tempelumgang dargestellt ist und wohl als Partitur für ein damals aufgeführtes Mysteriendrama gedient hatte.

Hier in Edfu sahen wir auch zum ersten Mal die unschönen Spuren der frühen koptischen Christen, die diesen Ort als Kloster genutzt hatten: einzelne „unliebsame“ Details waren aus dem Stein herausgemeißelt worden, an mancher Säule befand sich ein koptisches Kreuz und der Ruß der unzähligen Kerzen hatte viel Wänden eingeschwärzt.

Die Weiterfahrt nach Assuan zog sich in die Länge, doch endlich trafen wir am späteren Abend in unserem direkt am Nil gelegenen nubischen Hotel nahe Assuan ein. In der Abenddämmerung bezogen wir unsere Zimmer in traditionellen nubischen Kuppelbauten, außen farbenfroh bemalt. Manche von uns durften gar auf einem Boot schlafen, das beim Hotel vertäut war.

Am nächsten Morgen brachen wir zu einer Besichtigung des Assuan-Staudamms und des Nasser-Stausees auf, diese beiden gigantischen Großprojekte, die Ägyptens Angesicht, die dortige Lebensweise und die Landschaft radikal verändert haben.

Doktor Bruno hatte uns sehr differenziert über die Beweggründe zu diesem einschneidenden Projekt, wie auch über die positiven und negativen Folgen dessen berichtet. Bei allem Staunen blieb das Kopfschütteln über die vielen Verwerfungen, die der Staudamm mit sich gebracht hat.

Im Zuge des Baus des Stausees mussten zahlreiche Tempel „verlegt“ werden, da sie sonst im Wasser untergegangen wären – so auch die Tempelinsel Philae, das letzte ägyptische Heiligtum, das in Ägypten zu Zeit der römischen Herrschaft in Betrieb gewesen war, bevor der altägyptische Kultus durch Kaiser Justinian im 6. Jahrhundert nach Christus verboten und das Christentum zur Staatsreligion erhoben wurde.

Dieses umgesiedelte Isis-Heiligtum berührte uns durch seine trotz aller Entwurzelung erhaltenen Kraft und Natürlichkeit. Es trug schon deutlich eine griechische Stimmung in sich.

Später an diesem Nachmittag erkundeten wir die vor Assuan gelegene Insel Elephantine Island und erhielten dort weitere Einblicke in die nubische Kultur, die sich durchaus von der ägyptischen unterscheidet, was auch von Nubiern und Ägyptern selbst bemerkt wird. Die Farben und das Licht wirkten hier kraftvoller und weicher zugleich, die Menschen gemüthafter und uns schien es, als seien wir Afrika nicht nur geografisch ein Stück näher gerückt als im nördlichen und mittleren Ägypten.

Am nächsten Morgen bestiegen wir in den frühen Morgenstunden das schmucke Boot von Hamou, einem weiteren treuen Freund von Doktor Bruno. Durch welch schicksalhafte Momente sich die Freundschaft zwischen dem 23jährigen Nubier und Bruno Sandkühler gebildet hatte, wäre eine eigene Erzählung wert. Fest steht, dass uns in Hamou ein wunderbarer, integrer und um unser Wohl bemühter junger Mann begegnete, der alles tat, um unseren Aufenthalt in Nubien zu einem unvergesslichen Erlebnis zu machen.

Während unserer Tagestour auf dem Nil konnten wir bei Shisha und türkischem Kaffee auf gemütlichen Kissen klönen, das vorzügliche eigens für uns auf dem Boot zubereitete Essen genießen, und den Nil in seiner kraftvollen Ruhe wahrnehmen. Nach einer Erkundung des Tempels Kom Ombo, der ein Doppeltempel ist und ein vielgsuchter Orakeliort war, erfrischten wir uns mit einem Bad im Nil und sangen später auf dem Dach des Bootes in der Abenddämmerung mehrstimmige Lieder mit Blick auf den klaren Sternenhimmel.

Eine etwas unangenehme Begegnung mit der ägyptischen Wasser-Polizei sollte glimpflich ablaufen. Wir hatten wohl die „Sperrstunde“ etwas überschritten, als wir am späteren Abend an Assuan vorbeifuhren und wurden daher von der Polizei abgepasst. Ein Glück, dass ein Vetter Hamous bei der Behörde für die Unterzeichung der Bußgeld-Bescheide zuständig ist und somit eine Zahlung für seinen Neffen verhindern konnte – ein für uns positives Beispiel der ägyptischen „Vetternwirtschaft“…

Wir wurden von der Polizei sogar zum Hotel eskortiert und fielen erfüllt und müde in unser Betten.

Nun war der Tag des Abschieds gekommen – von Hamou, Doktor Bruno und auch von Hassan, der uns noch nach Assuan begleitet hatte.

Wir besichtigten noch eine moderne Steinbildhauer-Ausstellung in einem Steinbruch, sowie ein antikes Gegenstück in Form eines altägyptischen Steinbruchs, in dem die Obelisken aus einem Stück aus dem harten Gestein gesprengt worden waren. Ein werdender Obelisk war während dieses Vorgangs in der Mitte durchgebrochen und so kann man dieses spannende Missgeschick bis auf den heutigen Tag begutachten.

Auch eine Abschieds-Törn auf einem Segelboot samt nubischer Musik und Tanz hatten Hamou und seine Freunde noch für uns organisiert, bevor wir dann ein letztes gemeinsames Mahl einnahmen und uns mit einem selbst gedichteten Lied und handgemalten Postkarten von Doktor Bruno und unseren ägyptischen Freunden verabschieden mussten.

Sekem – eine Oase in der Wüste

Nach einer anstrengenden Fahrt im Nachtzug erwartete uns „Harry Potter Tours“ am nächsten Morgen am Bahnhof von Giza, um uns in das nahe Kairo gelegene Sekem zu bringen.

Die Ankunft in dieser aus der Wüste gewonnenen grünen Oase war ein wunderbares Aufatmen und Ankommen und wir genossen die hellen, sauberen Räumlichkeiten, die gepflegten Anlagen und die freundliche Atmosphäre.

Elias verschaffte uns an diesem Samstag einen ersten Überblick über das weitläufige Gelände. Am Sonntag führte uns Rafi, ein langjähriger deutsch-ägyptischer Mitarbeiter auf Sekem, durch die Anlage und zeigte uns diverse Firmengebäude sowie die Schulkomplexe. In einem folgenden Austausch erfuhren wir mehr über die geistigen Hingergründe und die verschiedenen Formen der Zusammenarbeit in dieser hoffnungsspendenden Initiative.

Mit einem großen Rückblick beschlossen wir am Nachmittag unsere gemeinsame Reisezeit und ließen den Abend anschließend bei einem Lagerfeuer ausklingen.

Der letzte Vormittag war noch der Besichtigung der von Ibrahim Abouleish gegründeten Heliopolis-Universität gewidmet. In diesem Rahmen konnten wir auch einen Blick auf die Bauarbeiten für ein neues internationales Kulturzentrum werfen, ein weiteres visionäres Projekt für Frieden, Verständigung und Menschlichkeit im heutigen Ägypten.

Und selbst wenn wir auf unseren ereignisreichen und wundervollen Reise gelernt hatten, nicht „warum?“ zu fragen, sei am Ende dieses Berichts die Frage erlaubt, warum es nicht noch mehr solcher hoffnungsspendenden Projekte in Ägypten und in der Welt gibt, die von mutigen, visionären Menschen getragen werden.

Wobei sich diese Frage auch als Wunsch und Ermutigung fassen lässt, dem eigenen Herzen zu folgen und noch so gegensätzliche Welten zu verbinden – in einer Zeit, wo Mut und beherzte Menschlichkeit so dringend nötig sind.

Lied für Doktor Bruno – zu singen auf Yam Yassa Due:

Oh,Doktor Bruno, Habibi, ja, wir danken dir,
Oh, Doktor Bruno, wir danken dir so sehr
Für die wunderbare Zeit in Ägypten
Für die eindrucksvolle Zeit mit dir!

Oh,Doktor Bruno, Habibi, ja, wir danken dir,
Oh, Doktor Bruno, wir danken dir so sehr
Und wir hoffen, dass wir uns bald wiedersehn
Inshallah, noch viel mit dir auf Reisen gehn!