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Wo sind die Geschichten geblieben?

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Auch mein Trimester hatte sich dazu entschlossen, gemeinsam ein Theaterstück zu erarbeiten. Ideen dafür begannen wir schon im 1. Trimester zu sammeln. An frischen Frühlingsabenden haben wir damals an vielerlei Geschichten gesponnen. Damals bestand unser Trimester noch aus sechs Personen. Das waren drei Georgier (Nana, Iza und Tornike), ein Koreaner (Suk-Hyun) und zwei Deutsche (Max und ich).

Es war von Anbeginn klar- wir haben auch Lust, uns an einem Theaterstück auszuprobieren. Suk-Hyun unser Koreaner und das ruhigste Mitglied in unserem Trimester, verließ uns schon nach dem 1. Trimester, um sein Studium in Korea wieder aufnehmen zu können. So kam es, dass wir in das 2. Trimester als eine georgisch-deutsche Gruppe starteten. Wir hatten so viele Geschichten und Ideen für das Projekt, dass wir gar nicht genug davon bekommen konnten.

Die meisten drehten sich um eine georgisch-deutsche Familien-Tragikomödie, in der wir die kulturellen Unterschiede extrem und überspitzt darstellen wollten. Mein Anliegen wäre es hier besonders gewesen, die Rolle der Frau und des Mannes in beiden Ländern näher zu beleuchten, ohne dabei den Humor zu verlieren. Denn darin waren wir uns alle einig, an lustigen Szenerien sollte es nicht fehlen.

Wir hatten so viele Geschichten und Ideen für das Projekt, dass wir gar nicht genug davon bekommen konnten.

Anfang des 2. Trimesters verließ uns dann Iza, ein georgisches Mädchen, das sich entschlossen hatte ihren Weg in der Berufswelt zu wagen. So kam es, dass wir aus meinem Trimester nur noch zu viert auf die Vogesenreise Mitte des 2. Trimesters fuhren. Damit ich über unser Theaterprojekt schreiben kann, ist es wichtig einen Blick in das Geschehen in den Vogesen zu wagen.

Es war ein warmer Dienstagmorgen als wir aufbrachen, um an einen nah gelegenen Bergsee zu wandern. Am See angelangt, ging ich ins Wasser. Tornike ging auch ins Wasser. Ich beobachtete wie er langsam ins Wasser lief. Als ich wieder am Ufer angelangt war, machten sie noch Späße im Wasser. Vom Ufer aus konnte ich sie beobachten. Dann war Tornike zu lange unter Wasser. Länger als es hätte sein dürfen. Länger als, dass es möglich gewesen wäre. Was war passiert? Wo war er? Irgendwas stimmte nicht. Es war plötzlich so still geworden.

Bis ich ihn am Grunde des Sees fand, war es schon zu spät. Die Reanimation war vergeblich, die Notärzte, die 30 Minuten später ankamen, waren zu spät. Es hat sich alles in diesen wenigen Minuten entschieden, die er unter Wasser war. Hätte es anders kommen können? Hätte ich gewusst, dass er Herzprobleme hatte, hätte ich dann schneller reagieren können? Hätten wir ihn retten können? Was war passiert?

So schnell und ohne sich verabschieden zu können, war er gegangen. So schnell, dass mir die Möglichkeit verwehrt wurde Tschüss zu sagen. Schmerzlich lässt es mich nicht mehr los, wie schnell es geht. Wie es ohne ihn sein muss.

Unser Trimester hatte nicht nur zwei Personen verloren, die sich entschlossen hatten andere Wege zu gehen. Tornike war gegangen. Für immer. So plötzlich, so schmerzvoll, dass es mich zerriss. Dass es uns zerriss. Dass es uns zerriss und wieder verband. Verband bis heute, näher und enger brachte, aber ohne zu wissen wo das Ziel war. Denn einer war gegangen- für immer.

So begann auch das Projekt. Es zerriss mich förmlich zu wissen, dass ein Projekt zu machen gleichzeitig hieß, ein Projekt ohne Tornike zu machen. Wie sollte das funktionieren? Wir versuchten so vieles aus in diesem 3. Trimester. So viele verschiedene Geschichten, aber es wollte keine wirklich gelingen.

Tornike war gegangen. Für immer. So plötzlich, so schmerzvoll, dass es mich zerriss.

Die Musik war es schließlich, die uns zusammen führte. Lieder zu unterschiedlichen Geschichten, die den Rahmen bilden sollten. Georgi, ein Pianist, der das Ganze mit musikalischer Begleitung untermalen und ausmalen sollte. Das war es, was uns zusammen führte. Aber die Geschichte? Das Theater? Wo war es hin? Es wollte nicht funktionieren, es war so schleppend alles. Nichts woran ich mich halten konnte. Es plätscherte alles so sehr.

Es war die Geschichte von Amélie, die schließlich die Projektzeiten dominierte. Aber woher kam diese Geschichte? Ich hatte diese Geschichte nicht gewollt. Max und Nana? Auch nicht. Wo kam sie also her? Es war die Geschichte eines Mädchens, das nur durch Verlust und durch Trennung lernte ihren eigenen Weg zu gehen.

Es war die Geschichte von Amélie, die schließlich die Projektzeiten dominierte. Aber woher kam diese Geschichte?

Diese Geschichte hatte nichts mit den eigentlichen Ideen von uns zu tun. Sie schien sich völlig selbständig zu etablieren. Wo waren die georgischen, die deutschen Ideen hin? Wo war Tornike?

Die Geschichte von Amélie. War es die Geschichte, die alle Klischees erfüllte, an der Obergrenze kurz ein paar Themen ankratzte, aber gar nicht in die Tiefe ging? Vielleicht. Oder war es die Geschichte von Amélie? Die Geschichte von einem Mädchen, das wusste, dass sie nichts in der Welt bewegen konnte, wenn sie sich nicht zuerst selbst bewegte.

Wo ist Tornike in dieser Geschichte? Mit Tornike wäre es sicherlich eine andere Geschichte geworden. Ohne Tornike wäre diese Geschichte so nie entstanden.

Unser Theaterprojekt erzählt die Geschichte von Amélie, einem Mädchens, das verstanden hat, dass es das Leid, der Verlust und die Trennung ist, die einem die Tiefe geben und einem den Weg zeigen. Den eigenen Weg. Amélie hat es geschafft den Verlust zu überwinden. Amélie ist ihren eigenen Weg gegangen.